Strafen bei Demo gegen Al-Quds-Marsch
Am 24. Juni 2017, also ca. ein Monat nach In-Kraft-Treten der neuen Schutzzonen-Regelung kam sie wahrscheinlich zum ersten Mal zur Anwendung. Eine antifaschistische Blockade des antisemitischen Al-Quds-Marsch in der Burggasse wurde unter Berufung auf die Schutzzone geräumt und einige AktivistInnen bekamen daraufhin Verwaltungsstrafen. Wir halfen dabei, dagegen Beschwerden zu schreiben und brachten insbesondere vor, dass das neue Gesetz wohl verfassungswidrig ist, weil es die Versammlungsfreiheit verletzt.
Das Verwaltungsgericht Wien hat nun entschieden, das Gesetz vom VfGH prüfen zu lassen, weil es ähnliche Bedenken hat. Das Verwaltungsgericht sieht dabei zwei Hauptprobleme: einerseits, dass die Notwendigkeit eines Abstands zwischen Demonstrationen nicht im Einzelfall geprüft werden muss und anderseits, dass man kaum wissen kann, ob man sich in einer Verbotszone befindet oder nicht
Die „Schutzzone“, die in § 7a VersG letztes Jahr eingeführt wurde, sollte eigentlich Verbotszone heißen, denn innerhalb dieser Zone im Umkreis von mindestens 50 m einer Versammlung ist es nun verboten, eine andere Versammlung abzuhalten, ganz egal, ob alles friedlich verläuft und ob die Versammlungen gegnerisch sind. Das Verbot ist seit 23.5.2017 in Kraft.
Absolutes Verbot und Unvorhersehbarkeit – die rechtlichen Argumente
Die Kritik am Gericht ist, dass die Verbotszone ein absolutes Versammlungsverbot darstellt, ohne, dass die Polizei eine Entscheidung im Einzelfall treffen muss: „Absolute Verbote sind besonders rechtfertigungsbedürftig, müssen auf spezifisch, eng abgesteckte Konstellationen zugeschnitten sein und Ausnahmecharakter haben.“ So ein Verbot darf nur ein letztes Mittel sein, um einen legitimes Ziel zu verfolgen (wie z.B. die Sicherheit der VersammlungsteilnehmerInnen zu gewährleisten). Das Verbot geht aber viel weiter als notwendig, es gilt nämlich auch bei verschiedenen friedlichen Versammlungen und sogar bei gleich oder ähnlich Gesinnten.
Außerdem schreibt das Verwaltungsgericht Wien, es sehe „keinen Grund, weshalb ein Versammlungsverbot für einen näher normierten und erforderlichen Schutzbereich nicht im Einzelfall auf die Notwendigkeit und damit auch auf die Verhältnismäßigkeit einer Überprüfung unterzogen werden soll.“ Die Polizei durfte ja immer schon Demonstrationen voneinander trennen und das war auch schon vor der Reform gängige Praxis, wenn die Polizei das im Einzelfall für notwendig hielt. Daher ist ein solcher Eingriff in das Versammlungsrecht nicht notwendig, und daher auch nicht verhältnismäßig und verfassungswidrig.
Zusätzlich sieht das Verwaltungsgericht auch ein Problem darin, dass man als TeilnehmerIn einer (Gegen)Demo kaum wissen kann, ob man sich in einer Verbotszone befindet oder nicht, da der Umfang nicht formell kundgemacht wird. Das heißt, man hat keine Möglichkeit genau zu wissen, ob das eigene Verhalten rechtmäßig ist oder nicht. Auf so einer Basis sollte man in einem Rechtsstaat nicht bestraft werden dürfen.
Die Vorgeschichte – Versammlungsrechtsreform 2017
Letztes Jahr gab es eine Reform des Versammlungsgesetzes, die die Versammlungsfreiheit massiv einschränkte. Zur umfassenden Kritik, siehe unseren Artikel hier (und im parlamentarischen Begutachtungsverfahren, siehe auch z.B. Netzwerk Kritische Rechtswissenschaften und epicenter.works ). Die Gesetzesreform wurde am 26.4.2017 mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP beschlossen.
Wie geht es weiter?
Wann der VfGH über die Schutzzonenregelung entscheiden wird und ob es eine öffentliche Verhandlung geben wird, wissen wir nicht. Genauso ist unklar, wie die VfGH bis dahin besetzt sein wird. Jedenfalls wird es aber eine Entscheidung darüber geben, ob die Verbotszonen für Demonstrationen verfassungswidrig sind und das Gesetz wird gegebenenfalls vom VfGH aufgehoben.