Polizist ignorierte Anzeige wegen Wiederbetätigung und wurde wegen Amtsmissbrauch schuldig gesprochen.
Am 3. Juni 2011 fuhr Negar Roubani, eine junge Bezirksrätin der Grünen mit dem Zug nach Wien. Am gleichen Tag fand ein Fußballspiel statt, der Zug war voll mit grölenden Fans. Als eine Gruppe Hooligans auch noch anfing das Deutschlandlied zu singen und “Heil Hitler!” zu rufen, reichte es Roubani. Sie verlangte von den Neonazis, damit aufzuhören. Dafür erntete sie rassistische Beschimpfungen. Daraufhin rief Roubani die Polizei, die schon am Bahnsteig wartete, als der Zug in Wien ankam. Als sie jedoch dem Gruppeninspektor S. erzählte, was sich ereignet hatte, meinte dieser nur, sie solle sich beruhigen, es sei ja nichts passiert. Die Anzeige wegen Wiederbetätigung ignorierte er wiederholt. Ein Verstoß gegen das Verbotsgesetz ist für den Gruppeninspektor anscheinend ein Bagatelldelikt, bei dem man auch einmal ein Auge zudrücken kann. Ein weiterer Beweis für den rassistischen Normalzustand bei der Polizei? Auf Roubanis Betreiben hin, kam es am 10.4.2012 zu einem Strafprozess gegen den Polizisten wegen Amtsmissbrauch.
Verteidigt wurde der Polizist S von Grasser-Anwalt Ainedter. Dieser ließ sich zu einem lässigen Plädoyer herab und hielt es nicht für notwendig, genau auf die Anklage einzugehen. Offensichtlich hatte die Verteidigung außer der aufgeregten Aussage des Beschuldigten nicht viel in der Hand. Nach Ainedter könne die Staatsanwaltschaft, die ohnehin schon so viel zu tun habe, nicht noch zusätzlich mit solchen Belanglosigkeiten wie grölenden Nazis belästigt werden. Dass die Beurteilung dessen, was eine Belanglosigkeit ist, aber nicht bei der Polizei liegen kann, sondern eben bei der Staatsanwaltschaft – wie auch die Richterin im Urteil später ausführte – schien der Anwalt nicht wissen zu wollen. Ainedter fand es weiters “außerhalb jeder Lebenserfahrung”, dass Frau Roubani bei unangenehmen Fahrgästen nicht einfach das Abteil wechselte. Er fand ihre “Version der Geschichte” daher „unglaubwürdig“. Es entspricht leider heutzutage wohl der Norm, Konflikten aus dem Weg zu gehen und Rassismus zu ignorieren, aber ein mutigeres Verhalten prinzipiell als unglaubwürdig einzustufen, spottet jeglichem Verständnis von Zivilcourage. Sicherlich der Höhepunkt seines Plädoyers war jedoch Ainedters Sager: “Wenn Besoffene >Heil Hitler!< schreien, ist das noch lange keine Wiederbetätigung”. Im Protokoll musste vermerkt werden: Gelächter im Publikum.
Der Polizist S. wurde schuldig gesprochen und zu 6 Monaten bedingt verurteilt, was die Mindeststrafe für dieses Delikt ist. Aber erst ab einer Strafe von einem Jahr, darf er nicht mehr bei der Polizei arbeiten. Die Richterin hatte keine Zweifel, dass Roubanis Angaben stimmten. Als altgedienter Beamte hätte Gruppeninspektor S wissen müssen, dass er bei Berichten von “Heil Hitler!”-Rufen auf jeden Fall Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstatten müsste. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Verteidigung kündigte Berufung an.