Die Wogen gehen hoch in den Mainstreammedien, aber auch auf Twitter und Facebook wird über „linke Gewalt“, Pyrotechnik und eingeschlagene Fensterscheiben heftig debattiert. Die „Randalierer“ hätten den friedliche Protest delegitimiert, der FPÖ in die Hände gespielt und die Opferrolle der Deutschnationalen in der Hofburg und sonst wo ermöglicht. Nazis werden entgegen einer des öfteren geäußerten These nicht verschwinden, wenn es keine Proteste gibt, die Aufmerksamkeit auf sie ziehen. Und wer die FPÖ wählt, entscheidet aufgrund seiner oder ihrer politischen Gesinnung, nicht allein aufgrund von mehr oder weniger militanten Protesten oder der üblichen Negativschlagzeilen in den Medien.
Als Kollektiv, das sich zum Ziel gesetzt hat, Antirepressionsarbeit zu leisten ist es uns wichtig, zu betonen, dass die massive Polizeigewalt und die Repression im Vorfeld durch nichts zu rechtfertigen ist. Der (für Wien) außergewöhnlich brutale Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray aus nächster Distanz, die Prügeleskapaden der Polizist_innen, die vielen teils schwer Verletzten können nicht damit erklärt werden, dass zuvor Schaufenster und Autos demoliert wurden. Die Strategie der Behörden war von Anfang an nicht deeskalativ, so endete der Demozug des OGR-Bündnisses am abgeriegelten Stephansplatz, wodurch die Anwesenden quasi in einem Kessel landeten. Im Vorfeld gab es großräumige Platzverbote, ein allgemeines Vermummungsverbot mit fragwürdgider Rechtsgrundlage und mediale Panikmache. Die Kundgebung des Bündnisses Zeichen-Setzen konnte aufgrund behörlicher Untersagung gar nicht erst stattfinden.
Betroffenen ihre Teilnahme an Demos und Blockaden vorzuwerfen ist schlicht und einfach eine Täter-Opfer-Umkehr, die abzulehnen ist. Auch beginnt staatliche Gewalt nicht erst mit dem ersten Einsatz von Schlagstöcken und den ersten Festnahmen, sondern ist strukturell und alltäglich, für manche mehr, für andere weniger spürbar. Gewalt gegen Sachen mit der institutionalisierten Gewalt gegen Menschen zu vergleichen entbehrt jeder Logik. Abschiebungen, rassistische Polizeikontrollen,Knäste, die großen und kleinen Strafverfahren, all das ist Gewalt die alltäglich vom Staat und seinen Polizist_innen ausgeht.
Der Abend am 24.01. zeigte zudem wieder, dass nicht nur militante Aktionsformen von Repression bedroht sind, auch relativ ruhige Sitzblockaden und unbeteiligte Personen waren von Identitätsfeststellungen und körperlicher Gewalt der Polizist_innen betroffen. Während der ganzen Nacht gab es immer wieder mehr oder weniger große Kessel, etwa in der Löwelstraße, am Volkstheater oder am Karl-Renner-Ring, die teilweise mehrere Stunden andauerten. Die Eingekesselten waren gezwungen, mehrere Stunden in der Kälte zu verbringen, und durften nicht aufs Klo gehen,Pfeffersprayeinsatz und Gewaltexzesse inklusive. Es gab mehrere Berichte von verletzten Personen, zu denen die Rettungsfahrzeuge aufgrund der Polizeisperren nicht durchkommen konnten und Verletzte, die minutenlang blutend auf dem kalten Boden liegen blieben, bis ihnen geholfen werden konnte. 14-18 Festnahmen wurden dokumentiert, die meisten Personen verbrachten mehrere Stunden im PAZ Rossauer Lände und wurden erst lange nach Mitternacht freigelassen. Mitgenommen wurden sie z.B. am Hof, in der Gegend rund um das Museumsquartier, am Rathaus oder am Stephansplatz. Ein Höhepunkt der Behördenwillkür war sicherlich die stundenlange grundlose Belagerung der Akademie der Bildenden Künste mit WEGA und Hundestaffel. Auch auf dem Nachhauseweg wurden noch Personen unter fadenscheinigen Gründen Identitätsfeststellungen unterzogen.
Über die Nachwirkungen lässt sich aktuell noch wenig sagen, von einer großen Menge an Verwaltungsstrafen und einigen strafrechtlichen Verfahren kann man aber ausgehen. Wie in den letzten Jahren werden sehr viele davon aus rechtlicher Perspektive unhaltbar sein, es bleibt zu hoffen, dass viele den Aufwand auf sich nehmen die Verfahren mit oder ohne Unterstützung von Antirepgruppen durchzufechten. Angesichts der möglichen Verfahren wäre es sinnvoll, Gedächtnisprotokolle zu schreiben, auch als mögliche_r Zeug_in und sich mit anderen Betroffenen zu vernetzten und sich an das rechtsinfokollektiv oder die Solidaritätsgruppe zu wenden wenn es Fragen gibt.
Was trotzdem bleibt, sind die Spuren die Gewalterfahrungen aufgrund der Konfrontationen mit der Polizei bei Betroffenen hinterlassen. Die physische und psychische Brutalität, sei es durch Schlagstöcke oder langwierige und belastende Verfahren gibt aber nicht nur Betroffenen ein Gefühl von Ohnmacht und Mutlosigkeit, auch andere, die davon erfahren werden eingeschüchtert und frustriert. In diesem Sinne: Fight repression, egal ob mehr oder weniger militante Aktionsformen im Blickfeld der staatlichen Behörden stehen!
Zuletzt noch eine Ankündigung: Eine Person, die im Laufe des Abends festgenommen wurde sitzt nach wie vor in Uhaft in der Justizanstalt Josefstadt. Am Montag, den 27.01. findet um 14.00 eine Solikundgebung an der Ecke Alserstraße/Wickenburggasse statt, mehr Infos gibt es dort. Hinkommen und weiterverbreiten!