Sektorales Bettelverbot in Salzburg

Trotz Protestes wurde am 20.05.2015 in Salzburg Stadt ein sektoriales Bettelverbot auch für sogenanntes „stilles Betteln“ erlassen. Seit 2. Juni 2015 ist es in Kraft und betteln ist untertags in vielen Teilen der Innenstadt verboten.

Hier ein Text aus Salzburg dazu:

 

Sektorales Bettelverbot?

Die aktuelle Fassung des Bettelverbots im Land Salzburg stellt „aggressives Betteln“, „Betteln mit Kindern“ und „organisiertes Betteln“ unter Strafe (ohnedies großteils strafrechtlich geahndet) und verankerte ein Verordnungsrecht für Gemeinden. Per Verordnung können Gemeinden auch „stilles Betteln“ an bestimmten Orten untersagen, wenn „zu befürchten ist, dass die Benützung des öffentlichen Ortes durch andere erschwert wird (…) oder sonst ein Missstand“ zu erwarten ist. Darauf stürzen sich Law-and-Order-Politiker*innen aller Couleur und es begann eine mediale Hetzkampagne.

 

Die (sozial-)politischen Forderungen von NGOs und Arbeitsgruppen nach Anlaufstellen für Not-Reisende sowie dem Ausbau von Notschlafstellen werden nach wie vor ignoriert. Daher sind viele Betroffene auf das Übernachten im Freien angewiesen. Zugleich schockiert die Sichtbarkeit von Armut viele Menschen. Sie suchen Anlaufstellen, aber es gibt keine. Daher wenden sie sich an die Polizei und das Thema wird ordnungspolitisch verhandelt. Aus dem Mangel an sozialpolitischen Maßnahmen entsteht also eine Situation, die später von denen, die sie aufrecht erhalten als unerträglicher Missstand beschrieben wird, welcher nur durch sektorale Verbote begegnet werden könne. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) stellte jedoch mit Erkenntnis vom 30. Juni 2012 (G155/10) klar, dass „stilles Betteln“ vom Schutzumfang des Art. 10 der Menschenrechtskonvention, dem Recht auf Kommunikationsfreiheit, erfasst ist. Darunter fallen das Recht der Freiheit der Meinung und deren Äußerung. Es ist legitim auf die eigene auswegslos erscheinende Lebenslage und Armut hinzuweisen und an die Solidarität der Mitmenschen zu appellieren. Stilles Betteln ist ein verfassungsgesetzlich geschütztes Menschenrecht.

 

Auch gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen Bestimmungen, die ohne sachliche Rechtfertigung bestimmte Menschen davon ausschließen, „öffentliche Orte wie andere zu ihrem selbstgewählten Zweck zu nutzen“. Des Verfassungsgerichtshof hat klargestellt, dass die Anwesenheit von Bettelnden keine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt. Eine solche Störung liegt erst vor, wenn die Benützung des öffentlichen Orts extrem erschwert wird.

Ein Beschluss eines sektoralen Bettelverbots verstieße somit gegen Verfassungsrecht und wird ebenso wie das Vorgängermodell behoben werden. Der Landesgesetzgeber hat sich in Teilen fast wörtlich auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtes gestützt, aber dabei den Sinn der Entscheidung außer Acht gelassen. Wird per Gemeindeverordnung pauschal ein Gebiet als Bettelverbotszone ausgewiesen, dann liefe das auf eine Beschränkung des Menschenrechts auf Kommunikationsfreiheit hinaus. Ein solcher Eingriff in die Kommunikationsfreiheit muss gesetzlich vorgesehen, verhältnismäßig und notwendig sein. D.h. dieses Recht kann nur beschränkt werden, wenn dies „in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, (…) der Aufrechterhaltung der Ordnung (…) unentbehrlich“ ist. Eine solche notwendige Maßnahme müsste zudem verhältnismäßig sein, also der kleinstmögliche Eingriff in das Menschenrecht zur Erreichung eines der „legitimen“ Ziele sein. Stilles Betteln ist laut Verfassungsgerichtshof keine Störung der öffentlichen Ordnung. Erst wenn die Benützung des öffentlichen Raumes richtiggehend erschwert wird, ist ein Verbot legitim. 150 Menschen vermögen nicht die Benützung der Innenstadt wesentlich zu erschweren. Wären es 150 zahlende Tourist*innen mehr, würde kein Missstand ausgerufen. Ein sektorales Bettelverbot ist demnach auch unsachlich und gleichheitswidrig.

 

Trotz besseren Wissens wird der Gemeinderat die Verordnung erlassen. Irgendwer wird dagegen eine Individualbeschwerde einbringen und Jahre später wird der Verfassungsgerichtshof auch diese Verordnung beheben und § 29 Abs. 1 Z 4 und Abs. 2 Landessicherheitsgesetz werden novelliert, das wissen auch die gesetzgebenden Politiker*innen sehr genau. Da wird gemeinsam auf die sichtbar Schwächsten getreten und werden rassistische Ressentiments bedient. Die Abstiegsängste der Kapitalismusverlierer*innen werden auf den vermeintlich gemeinsamen Feind projiziert. Vor dem Hintergrund von wachsender Fremdenfeindlichkeit und rassistischer Gewalt ein bedrohliches Szenario.

 

Kämpfen wir daher gemeinsam gegen physische und strukturelle rechte Gewalt und für unser Recht auf Freiheit im öffentlichen Raum: die Freiheit draußen zu schlafen, im Zelt oder ohne, das Recht auf Basisversorgung in Notlagen und Solidarität!

In der nächste Gemeinderatssitzung, einer öffentlichen Sitzung am Mittwoch, dem 20.05.2015 ab 09:00, soll ein sektorales Bettelverbot verankert werden. Wir sind dagegen und wir haben Recht!