Faschos anzeigen?! Überlegungen zu Rechtstaat und rechter Gewalt

Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Übergriffen durch Rechte. Wie damit umzugehen ist, wirft oft auch die Frage auf, wie mit eventuell daran anschließenden Strafverfahren umgegangen werden soll. Dieser Text will niemandem die Entscheidung abnehmen, ob es Sinn macht einen gewalttätigen Übergriff anzuzeigen oder nicht. Häufig hat eins auch gar nicht die Wahl, weil die Polizei unabhängig von einer Anzeige davon mitbekommt. Auch kann es viele verschiedene Konstellationen geben, auf die die Gedanken, die wir uns dazu gemacht haben, nicht passen. Stattdessen wollen wir versuchen, Überlegungen zu diesem Thema zusammenzutragen und auf ein paar Probleme aufmerksam machen, die sich im Zusammenhang mit einer Anzeige ergeben.

An dieser Stelle sehen wir keinen Platz, die politische Sinnhaftigkeit einer Anzeige gegen Nazis zu diskutieren. Trotzdem finden wir es wichtig, sich im Vorhinein die Frage zu stellen, was die eigene Motivation hinter der Anzeige ist. Das Bedürfnis nach „Etwas-dagegen-tun“, ist sehr verständlich, aber eine Strafanzeige ist nicht der einzige, oft nicht der zielführendste und vor allem kein emanzipatorischer Weg. Geht es darum Schmerzensgeld zu bekommen, darum mediale Aufmerksamkeit auf rechte Gewalt zu lenken oder darum, die Nazis über den Rechtsweg in die Schranken zu weisen? Strafverfahren beanspruchen außerdem nicht nur Ressourcen von denen, die angezeigt werden, sondern auch von dir, der Person die sich dafür einsetzt, dass jemand verurteilt wird und deshalb zu Vorladungen gehen und sich Strategien überlegen muss.

1. Erste Schritte

Direkt nach dem Vorfall macht es Sinn, ein Gedächtnisprotokoll zu schreiben, damit du dich egal wie du dich entscheiden solltest an alles erinnern kannst. Bewahre dieses Protokoll sicher auf, schicke es nicht unverschlüsselt herum und stelle es nicht ins Internet. Für den Fall einer späteren Anzeige macht es Sinn, Verletzungen möglichst genau zu dokumentieren. Ärzt*innen unterliegen grundsätzlich der Schweigepflicht. Bei schweren Verletzungen, die durch eine strafrechtliche Handlung entstanden sind, haben sie allerdings die Pflicht, Anzeige zu erstatten (§54 ÄrzteG). Schwere Verletzungen sind z.B. Knochenbrüche, nicht aber ausgeschlagene Zähne. Bei Personen unter 18 beginnt die Anzeigepflicht schon früher.

2. Was ist eine Anzeige und kann ich sie zurückziehen?

Eine Anzeige liegt nicht erst vor, wenn du zur Polizei gehst und sie über einen Vorfall informierst. Grundsätzlich müssen die Cops nach österreichischem Recht Anzeige erstatten, wenn sie von strafbarem Verhalten erfahren. Das heißt, dass sie verpflichtet sind, Anzeige zu erstatten, wenn du sie auf eine potentielle Straftat aufmerksam machst, aber auch, wenn Zeug*innen sie darüber informieren oder die Polizist*innen die Situation selbst mitbekommen. Für die allermeisten Delikte, die das österreichische Strafrecht kennt, gilt auch, dass nur die Behörden selbst ein Verfahren einstellen können. Das heißt, dass du, selbst wenn du Opfer einer Straftat bist, in der Regel nicht selbst entscheiden kannst, die Anzeige zurückzuziehen, weil es um den Strafanspruch des Staates und nicht des Opfers geht. Eine Ausnahme davon sind z.B. Beleidigungsdelikte, jedenfalls aber nicht Körperverletzungsdelikte. Die Cops sind übrigens auch verpflichtet, eine Anzeige von dir entgegenzunehmen.

3. Welche Rechte habe ich als Opfer im Strafverfahren?

Als Opfer hast du grundsätzlich denselben Status wie Zeug*innen, aber auch einige Rechte die darüber hinausgehen. Falschaussagen sind also gerichtlich strafbar und du hast kein generelles Aussageverweigerungsrecht. Allerdings muss sich niemand, egal ob Zeug*in oder Opfer, vor Gericht selbst belasten.1 Zusätzlich hast du aber das Recht auf Akteneinsicht und die Möglichkeit, im Rahmen des Strafverfahrens deine privatrechtlichen Ansprüche, wie z.B. Schadenersatz geltend zu machen. Außerdem kannst du die Angebote psychosozialer und juristischer Prozessbegleitung gratis nutzen.

4. Was passiert mit meinen Daten, wenn ich Anzeige erstatte?

Beschuldigte haben ein Recht auf Akteneinsicht. Gleichzeitig werden die Daten von Zeug*innen und Opfern akribisch genau in den Akten dokumentiert. Umfasst sind z.B. Name, Adresse, Name der Eltern, aber auch alle Daten, die du sonst angibst, wie z.B. deine Handynummer. Eine Anzeige zu machen, bzw. als Zeug*in auszusagen kann bedeuten, dass die Gegenseite ganz leicht alle deine Daten bekommt. Die Möglichkeiten, das zu verhindern, sind nicht besonders vielfältig und werden in der Praxis von Polizist*innen oft „vergessen“ wahrzunehmen. Besonders deinen Namen wirst du kaum aus dem Akt raushalten können.

Es macht auf jeden Fall Sinn, den/die Polizist*in darauf hinzuweisen, dass du aus Sicherheitsgründen bzw. Angst vor Angriffen auf dich, deine Daten nicht im Akt stehen haben willst. Leider zeigen Erfahrungen aus der Praxis, dass dieser Forderung nicht unbedingt nachgekommen wird. Unter bestimmten Umständen gibt es die Möglichkeit, dass bestimmte Opfereinrichtungen, wie zum Beispiel der Weiße Ring, dich unterstützen. So kannst du erreichen, dass der Briefverkehr über diese Institutionen läuft und somit die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass deine Daten nicht an die Beschuldigten weitergegeben werden. Aber auch hier gibt es Fälle, in denen die Daten gelandet sind, wo sie nicht landen sollten.

So oder so wirst du aber zumindest der Polizei einiges an Daten überlassen, die sie vielleicht noch nicht haben und die auch zu einem späteren Zeitpunkt noch verwendet werden könnten.

5. Gegenanzeigen

Eine nicht besonders unlogische Reaktion von Beschuldigten ist es zu sagen, dass die andere Person sie vorher angegriffen hat oder sie im Zuge einer Rangelei selbst verletzt wurden. Häufig hat das zur Konsequenz, dass sich der Opferstatus der Person, die anzeigt, umwandelt und sie dann selbst als Beschuldigte*r geführt wird. Oft ändert sich dadurch auch das Delikt, und die Anzeige lautet nicht mehr auf Körperverletzung (§§83 ff. StGB), sondern auf „Raufhandel“ (§91 StGB). Im Prinzip bedeutet dieser Vorwurf, dass mehrere Personen an einer Rauferei beteiligt waren und alle wegen diesem Delikt gleichermaßen zu bestrafen sind. Während beim Vorwurf der Körperverletzung nachgewiesen werden muss, dass das Handeln einer konkreten Person zu einer Verletzung bei einer anderen geführt hat, reicht es beim Raufhandel aus, schlichtweg dabei gewesen zu sein und in irgendeiner Form tätlich am Raufhandel teilgenommen zu haben. Kurz: Wenn du anzeigst, kann es passieren, dass du selbst beschuldigt und in weiterer Folge angezeigt wirst, einige dieser Erfahrungen gibt es auch schon in Wien. Zwar ist die Strafdrohung für Raufhandel nicht besonders hoch und meistens wird nicht mehr als eine Diversion verhängt werden, trotzdem bedeutet so ein Verfahren Stress und ist häufig auch teuer.

Achte vor allem in Vernehmungssituationen und bei allen Schriftstücken darauf, als was du geführt wirst (Opfer oder Beschuldigte*r), damit du schnell genug reagieren kannst. Wenn du merkst, dass sich der Vorwurf auch gegen dich richtet, verweigere die Aussage und berate dich mit Freund*innen und Antirepressionsstrukturen.

1 Wann du als Beschuldigte*r/Zeug*in die Aussage verweigern kannst, findest du hier.